meine visitenkarte brauchte auslauf

Sie finden Visitenkartenpartys schrecklich? Eine lästige Zusammenkunft von Selbstdarstellern, reine Zeitverschwendung, für den Gewinn neuer Kunden ungeeignet? Ich nicht. Manchmal überkommt es mich – dann werfe ich mich in mein lässigstes Business-Outfit und fake Akquiselust.

Der wahre Grund ist: Ich betreibe Feldstudien. Denn zumindest weiß man hinterher, welche potenziellen Zielgruppen man zukünftig weiträumig umfahren muss. Im besten Fall liefern sie Stoff für eine Glosse.

Neulich hatte man mich offenbar aus irgendeinem Karteileichenfriedhof exhumiert, sodass ich eine Einladung zum „Regionalen Unternehmertreffen“ bekam. Ich ging hin. Und alle waren sie da, die Unvermeidlichen:

Noch während meiner ersten Runde zum Sichten der Lage sprach mich die Kosmetikberaterin an. Die selbst ernannte Stilexpertin ist auf allen Visitenkartenpartys zu finden – wenig verwunderlich, denn betrachtet man die anwesende Menge unvorteilhaft gekleideter Männer und suboptimal geschminkter Frauen, muss da enormes Potenzial abzuschöpfen sein.

So plump, mich auf meine Makel anzusprechen, ist sie jedoch nicht. Es reicht völlig, dass sie mir ihre Visitenkarte zusteckt. Und dann ihr Blick! Sie entdeckt dilettantisch überschminkte Lachfalten, schlecht getünchte Schlupflider und brutal gerupfte Damenbarthaare – schonungslos. Getoppt wird ihr prüfendes Mustern nur von jenem der unabwendbaren Endfünfzigerin in der Damenwäscheabteilung eines beliebigen Kaufhauses, die auf 20 Meter Entfernung in der Lage ist, Körbchengröße und Brustumfang exakt zu ermitteln. Nacktscanner sind ein Dreck dagegen! Liebe Datenschützer, in Deutschlands Kaufhäusern gibt es die längst! Doch zurück zu meiner Kosmetikdame. Sie wollte mich in ein Gespräch verwickeln, aber ihr atemberaubender Mundgeruch trieb mich an die Proseccotheke.

Mit dem Glas in der Hand lauschte ich der Vorstellungsrunde der Organisatoren, allesamt Größen des lokalen Mittelstands, die tapfer ihre auswendig gelernten Elevator Statements aufsagten. Leider vergaßen gefühlt zwei Drittel davon, im Rausch ihrer sorgfältig ziselierten Sätze mitzuteilen, was sie denn nun anbieten, im Aufzug.

Ich flog eine Schleife übers Büffet und stellte mich mit vollem Teller und ebensolchen Backen an einen dieser typischen Plastikstehtische, dem jemand mittels eines cremefarbenen Stoffüberwurfs vergeblich versucht hatte, das Billigplastikimage zu nehmen. Der behusste Tisch war von einer weiteren repräsentativen Besucherspezies bevölkert: den Versicherungsvertretern, Verzeihung: Financial Solutions Consultants. Einer von ihnen wollte unvorsichtigerweise wissen, was mein Business sei, und begann erwartungsgemäß bei der Antwort „Ich bin Texterin“ nervös mit den Hufen zu scharren. „Brotlose Kunst, schnell weg hier“ erschien in phosphoreszierenden Lettern auf seiner sich langsam mit Schweißtropfen füllenden Stirn, und da ich einen meiner milde gestimmten Abende hatte, erlöste ich ihn schnell und ging zum Nachtisch ans Büffet.

Dort geriet ich leider in die Fänge eines dieser unangenehmen Exemplare, die mich immer an Brechts Radiotheorie erinnern: ein Sender ohne Aus-Knopf. Nach eigenen Angaben sprach Herr Radio X Fremdsprachen, X minus eine davon verhandlungssicher (welche die eine wohl war? Rätoromanisch?) und wollte mir seine revolutionäre Sprachlernmethode nahebringen. Die bestand darin, ein Wochenende mit ihm intensiv zu verbringen. Eine plötzliche Übelkeit vortäuschend (was mir leicht fiel), stürzte ich davon.

Und fand mich direkt vor dem Alleinunterhalter wieder, der gerade pausierte. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit schon das Gefühl gehabt, er habe mich beobachtet. Ich wollte gleich weiterziehen (Flirten mit dem Pianomann ist allenfalls etwas für völlig Verzweifelte), doch er hatte mich schon bemerkt. So versuchte ich höflichkeitshalber etwas Konversation und fragte ihn, warum er auf solchen Unternehmertreffen spiele. Er zwinkerte mir zu und sagte: „Feldstudien“.

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Texterin, Redakteurin, Bloggerin. Liefert Konzept, Text und Redaktion für Web, Werbung und Corporate Publishing. Bloggt hier übers Leben und Texten und dort übers Reisen: rumreiserei